STUDIO GDS PRÄSENTIERT DAS WAHLKAMPFSONG-SPECIAL

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Lead

1996 war es so weit. Zwei Welten, die Lichtjahre auseinander liegen, fanden endlich zusammen. Basketball und Zeichentrickfiguren. Michael Jordan und Bugs Bunny. Selten und anmutig wie bei einer Sonnenfinsternis wurde aus zwei plötzlich eins – Space Jam. 2015 zeichnet sich eine ebenso unverhoffte Sternstunde ab. Wieder kollidieren Welten. Schweizer Politik und MTV. Christoph Blocher und Rhythmusgefühl. Denn während die CVP beschlossen hat, für diesen Wahlkampf alle christlichen Werte im Weihwasser zu ersäufen und nun Zwangsarbeit für Flüchtlinge fordert, haben sich andere Politiker entschieden, das Internet mit Wahlkampfliedern zu bestücken. SVP und GLP laden zum polito-musikalischen Slam Dunk ein. Zeit für eine kritische Betrachtung.

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STUDIO GDS PRÄSENTIERT DAS WAHLKAMPFSONG-SPECIAL
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Beginnen wir beim Unbekannten aus dem Osten. Mike Egger – das ist ein etwa 16-jähriger St. Galler, der seine Verkleidung als Toni Brunner nach der letzten Fasnacht nicht mehr abgelegt hat. Nun will er für die SVP den Sprung aus dem Kantonsrat in den Nationalrat schaffen. Die Anzahl Toni Brunners würde damit um 100 Prozent auf zwei ansteigen. Damit bleiben sie zwar unter der Fraktionsstärke, könnten jedoch berechtigterweise einen Sitz im Bundesrat fordern. Für dieses Ziel hat Mike ein Lied geschrieben und Dominique Baumgartner, besser bekannt als Stahlbergers evil & untalented Twin, engagiert um es vorzutragen. Damit tritt Egger selbst in den Hintergrund und kehrt somit das übliche Schema um, nach welchem die Inhalte durch Lobbyisten und Berater vorgegeben sind und vom Politiker massenwirksam verbreitet werden. Ein interessanter Ansatz des Nachwuchspolitikers, der sich damit klar als Kritiker der post-demokratischen Gesellschaft positioniert. Nach den wichtigsten Theoretikern gefragt, welche ihn zu dieser Positionierung überzeugt haben, antwortet Mike selbstbewusst: „Meine Stimme ist zu schlecht.“

Dass Dominique Baumgartners Stimme ebenfalls zu schlecht ist, verblasst neben der Fähigkeit, das Wort „Forderungskatalog“ in ein Lied zu packen. Mit verkrampften Griffen auf der Gitarre, geschätzten fünf Akkorden, und Augenbrauen, die schiefer sind als jede Einkommensverteilung, verkörpert Baumgartner perfekt die Unheilsbotschaften, für welche ihn Egger als Sprachrohr gewinnen konnte. Migranten verstopfen unsere Autobahnen, der Islamismus bedroht die Rechte der Frauen und die EU betreibt Imperialismus. Wir erkennen die klassischen SVP-Themen: Anti-Imperialismus, Gleichberechtigung, Öffentlicher Verkehr.

Auch der Aargauer Nationalrat Beat Flach hat sein gesamtes Parteiprogramm in einen Song gerammt. Der weisse Barry White übernimmt dabei den Lead im Gegensatz zu Mike Egger gleich selbst – er hat den Stimmbruch ja auch hörbar hinter sich. Musikalisch hat er sich bei den aussortierten Sommerhits von Stiller Has bedient und bebildert wird der grünliberale Kirchenchor mit einheimischer Flora und Fauna sowie staatsmännischer Ertüchtigung. Dieser Feel-good-movie hätte eigentlich das Zeug zum elektoralen Blockbuster, doch leider unterschätzt Beat „oh yeah“ Flach die tückische Wirkung der GLP-Kuznets-Kurve. Diese besagt, dass die wiederkehrende Erwähnung des Wortes „grünliberal“ zwar anfänglich dessen Wiedererkennungswert steigert, ab einem gewissen Sättigungsgrad jedoch jede weitere Erwähnung des Wortes– insbesondere im Familien-Weihnachtslied-Modus – zu immer stärkerer Abneigung führt. Wie die Abbildung zeigt, befindet sich Flachs GLP-Song so weit rechts auf dieser Skala, dass selbst Martin Bäumle an der pseudo-ökologischen Linientreue des Aargauers zweifeln muss.

Kommen wir nun zum politischen Schwergewicht im Swissvision Song Contest – der versammelten SVP-Fraktion. Hier dreht sich alles um Willy. Willy Vogel a.k.a. Willy Tell – Schlagerstar und Vokuhila-Model – besingt angeblich das SVP-Maskottchen Wachhund Willy, aber mindestens so sehr sich selbst. Unterstützt wird er von ein paar alten Männern im Anzug, welche so rhythmisch mitwippen, dass sich nur vermuten lässt, wo sie ihren Wanderstock versteckt haben. Das Motto liegt irgendwo zwischen „Heidi im Pornoland“ und „Samstig Jass“-Afterparty. Die SVP beweist einmal mehr, dass sie das Internet einigermassen verstanden hat. Dies schliesst sich aus der konsequenten Substituierung von Inhalt durch Welpen - nur Katzenbabies wären noch wirksamer gewesen. Die SVP langweilt uns nicht mit einem Parteiprogramm oder mit den Sorgen der Bevölkerung. Nein – Willy ist da, und es gibt einen Weg. Freiheit ist auch irgendwie wichtig. Warum Willy hier ist und wo dieser Weg hinführt ist egal. Ob Willy auf diesem Weg weit weg geht? Man weiss es nicht, aber die Hoffnung besteht. Wird er die SVP-Fraktion mitnehmen? Wahrscheinlich nicht, die wären im Ausland völlig unintegrierbar. Nur eins ist klar: Dieses Lied wieder aus dem Gehörgang zu verweisen, wird extrem schwierig und ist eventuell nur durch Zwangsausschaffung möglich.

Wir erleben 2015 eine partielle Musikfinsternis. Ein Spektakel, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Wie bei einer Sonnenfinsternis, ist jedoch die Seltenheit Grundvoraussetzung für unser Wohlwollen. Würde der Mond die Sonne langfristig verdunkeln, wäre Bruce Willis schon bald im weissen Unterhemd auf dem Weg dorthin. Aus Space Jam würde Armageddon. Das sollten auch Schweizer Politiker nicht vergessen.

By Kaiser Scheiss