STUDIO GDS PRÄSENTIERT GDS BI DE LÜT - AFRICA EDITION

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Lead

Seit einer Stunde winkt sie uns zu. Gelacht hat sie in dieser Zeit nie. Winken ja, Lachen nein. Wir sitzen etwa drei Reihen auseinander. Die nonverbale Kommunikation wird von westafrikanischer Musik begleitet, die Videos dazu sind auf dem kleinen Bildschirm ganz vorne zu erkennen. Ein riesiger Mann besingt Roger Milla, die Fussballerlegende aus Kamerun. Im Video tanzen zwei Kleinwüchsige. Es scheint das Markenzeichen des Sängers Pépé Kallé zu sein, wie die nächsten Clips zeigen. Dazu weiterhin nüchternes Winken von vorne. Irgendwann erklingt eine Fanfare, der Bildschirm ist schwarz. Es wirkt wie der Anfang eines Hollzwoodstreifens. Aber irgendwie zu bekannt, zu vertraut. Auf einen Schlag wird es klar, mit den letzten Klängen des Intros: Das ist der Anfang von "We are the World". In wenigen Sekunden wird Lionel Richie auftauchen und uns ermahnen, dass die Zeit gekommen ist, in der die Welt zusammenrücken muss. Was glaubt er denn, was wir und das kleine Mädchen hier im tanzanischen Hinterland schon seit einer Stunde machen? Sachliche Handsignale zur Völkerverständigung. Doch dann steht da nicht Lionel Richie, sondern Justin Bieber. Es ist der 9. November 2016, in einem Bus, der eine Stunde vom Lake Victoria entfernt über sandige Strassen holpert, an dem ich feststellen muss, dass es eine Neuauflage von "We are the World" gibt. Am Konzept hat sich nichts geändert: Berühmtheiten legen sich im Studio ins Zeug, beseelt von der höheren Berufung - vorgelebte Harmonie unter Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und gleicher Einkommensklasse. Dazwischen Bilder von schwarzen Kindern in Not. Heute Haiti statt Afrika, dank kolonialer Vorarbeit kann man dieselben Archivbilder verwenden. Der Bieber-Schock ist noch nicht verdaut, da folgen Autotune und ein Chor-Rap-Part, für den sogar DJ Bobo sich schämen würde. Kanye West erhält, gesondert vom Hip Hop-Pöbel, einen Solo-Auftritt - hoffentlich spendet er dafür eine Kollektion Lederjeans. Ganz zum Schluss schreit Wyclef Jean noch ein paar traurige Geräsche ins Mikrophon. Dann ist es endlich vorbei. Wir sitzen konsterniert in unserer Bankreihe. Das Mädchen vor uns winkt noch immer mit ernster Miene. Auch uns ist nicht mehr nach Lachen zu Mute.

In einer Welt der virtuellen und realen Blasen - wegen Verwechslungsgefahr meist Bubble genannt - sind Horizonterweiterungen schwierig geworden - auch musikalisch. Spotify und Konsorten kennen den Musikgeschmack und beliefern diesen mit reichlich Nachschub. Der afrikanische öV zwischen Kapstadt und Kigali bietet einen Ausweg - durch Zwang. Die Auswahl an Musik ist so demokratisch bestimmt wie viele der hier sesshaften Präsidenten, und die Lautstärke so weit aufgedreht, dass kein Noise Cancelling-Kopfhörer der Welt dagegen ankommt. Das kann zu absurden Situationen führen, wie oben beschrieben, aber auch zu neuen Einblicken und zumindest - und das ist garantiert - zu verdammt vielen Ärschen:

Nigeria: Timaya - Sanko
- Man kann auch mal mit dem Strom tanzen

Nigeria: Yemi Alade - Koffi Anan
- Trotz Schreibfehler besser als die Autobiografie

Nigeria: Bracket ft. Tecno - Panya
- Sachlich betrachtet schrecklich, im Club eine Macht

Tanzania: Darassa - Too Much
- Zu oft gehört, als dass eine neutrale Einschätzung möglich wäre

Kongo: Fally Ipupa - Original
- Sinnfreie Lyrics in Französisch und English mit grossartigen Specialeffects

Zimbabwe: Cal_Vin - Z'Khuphan
- Ndebele statt Shona, aber scho na geil!

by Kaiser Scheiss.

 

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