Als ich mich letztens wieder einmal auf den neusten Stand des Musikgeschehens bringen wollte, stolperte ich über einen Herrn mit einem mir unbekannten Namen. Sein neustes Werk rangierte mit einer Metascore von 87 auf Platz Drei der Top New Album Charts von metacritics.com, noch vor dem vielgelobten letzten Album von Mitski und der neuen und ebenfalls gehypten Scheibe von Frank Ocean. Neugierig klickte ich auf den nobel klingenden Namen und war höchst erstaunt zu lesen, dass Ian William Craig vor diesem Werk bereits acht Full-Lenght Alben herausgebracht hatte. Anscheinend ist der nette Herr mit dem langen Namen kein Newcomer. Weiter konnte ich der Zusammenfassung entnehmen, dass Craig für seine Musik neben Synthesizern gerne Kassettenspieler und Tonbandgeräte benutzt, aus Kanada stammt und sein neustes Album Centres auf dem Fat Cat Records Imprint 130701 erschienen ist. Für mich mehr als genügend Gründe dem Herrn eine Chance zu geben und in das Album reinzuhören.
Und schon während die ersten analogen Knackser ertönten und sich ein wunderbar rauschiger, undefinierbarer Klang in meinem Gehör ausbreitete, dämmerte mir, dass Craig mehr ist als bloss eine weitere Entdeckung. Also wollte ich mehr über den offensichtlich talentierten Herrn herausfinden und tat, was man heute so tut – ich tippte seinen Namen in die Google-Suchleiste. Inzwischen war zu den sphärischen Ambientklängen, Craigs Stimme dazugestossen, die durch Effekte verzerrt und mit Autotune leicht verfremdet, ein bisschen an die letzten Bon Iver Werke erinnert. Die Google-Suche spuckte an erster Stelle das Pitchfork-Review von Centres aus und ich begann zu lesen: „Who is Ian William Craig?“, stand da, “Nothing about the man, with his easily forgettable name, gently nerdy MFA-student look, and bio notes reading „operatically trained“ and „Canadian“, hint at the vast ocean of beauty within his music.” Damit erschöpften sich die Hintergrundinformationen über Craig, was für ein seriöses Pitchforkreview (und damit meine ich ein Review in dem sich keine Affen in das Maul urinieren) doch recht mager ist. Jedoch habe ich seit der Übernahme durch Condé Nast auch das Gefühl, dass das Budget von Pitchfork eher für die Überwachung der neusten Eskapaden von Kanye draufgeht, als für Recherchen über ernstzunehmende Musiker. Ich vermute ja auch, dass der typische Condé Nast Kunde sich nur wenig oder gar nicht für analoge Knacken und Rauschen interessiert. Jedoch kenne ich eine andere Musikredaktion, bei der solche Dinge regelmässig feuchte Träume auszulösen scheint (so zum Beispiel zuletzt hier). Deshalb wechselte ich von der Hipster-Vogue zum Rolling-Stone für Nerds: Tinymixtapes.com. Und siehe da, die Musiknerds von TMT scheinen eine ganze Menge über Ian William Craig zu wissen und auch für ihn übrig zu haben, bezeichnen sie ihn doch als nichts weniger als eine ihrer Musen und sein neues Album als sein Opus Magnum. So sei das Album „[…]a long, exhaustive album, cohesive in its apparent mission of pushing to the edge any tendency explored on Sean McCann’s Recital label or Craig’s independent Bandcamp releases. Craig’s many approaches to his fragile, esoteric tape work are here each given room to grow, to inform one another, to eventually form what one song’s title evokes: “A Circle Without Having To Curve.” Klingt nicht schlecht, oder?
Mittlerweile habe ich Centres auch fertiggehört und ich kann den Kollegen von TMT nur beipflichten. Das Album ist von einer Schönheit, die so unfassbar ist, wie seine Klänge, bei denen man sich nie so ganz sicher sein kann, was deren Ursprung ist. Die Melodien sind so tiefgehend wie ephemer, scheinen sich zu entwickeln nur um wieder von Rauschen und Knacksern erstickt zu werden, aus welchen sie dann unverhofft zu neuer Grösse heranwachsen. Immer wieder hört man darin verflochten Craigs Stimme, die einem regelmässig eine Gänsehaut beschert. Auf eine einzigartige Weise verbindet er so Pop und Ambient. Das Ganze erinnert an Grössen wie Tim Hecker, Fennesz, Lawrence English und an das von mir sehr geschätzte ‚Riceboy Sleeps‘ von Jónsi & Alex gemischt mit einer Prise Pop à la Bon Iver. Also, liebe Freunde des gepflegten Rauschens und der analogen Knackser zögert keine Sekunde und lasst euch von diesem Meisterwerk verzaubern.
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Von Lukas Marty.
