Eine Barschlägerei zwischen Jack White und Patrick Carney – das wär was gewesen. White Stripes gegen Black Keys. Aber Carney hat gekniffen und danach auf Twitter sein Herz ausgeschüttet: „Music was a private non competitive thing“. „Quit whining on the Internet“, kommt von der anderen Seite zurück. Jack hat recht. Sicher ist Musik kompetitiv, Patrick! Ranglisten und Bewertungen, wohin man schaut, und ganz zuunterst ist immer Nickelback. Während sich White und Carney aber bereits wieder in den Armen liegen, ist bei mir der nächste Konflikt entflammt.
Es sind zwei weisse Nerds mit langen Haaren, die gerade um die Vormachtstellung in meinem Gehörgang kämpfen. Der Aufhänger ist West Coast gegen East Coast. In der rechten Ecke Kurt Vile aus Philadelphia, Pennsylvania. Die Dopingkontrolle bleibt ihm als ehemaligen Mitglied von The War on Drugs erspart. Mitgebracht hat er sein neues Album „b’lieve i’m goin down“. In der linken Ecke sitzt Jonwayne. Er lebt in La Habra, Kalifornien, und wenn er seinen Heimatort im Track „30,000“ mit rollendem R und tiefem Bass ausspricht, klingt es nach dem coolsten Ort auf Erden. Mit dabei seine neuste EP „Jonwayne is Retired“. Retired vs. going down – nicht gerade die klassischen Kampfansagen. Das ist in etwa so berauschend, wie wenn man als Kind zwei Spinnen in einem Glas gegeneinander kämpfen lassen will und beide nur am Rand entlang rennen – oder hat das ausser mir etwa niemand gemacht? Egal – als Promoter und Host sage ich, die kämpfen, ob sie wollen oder nicht.
Kurt Vile steigt als Titelverteidiger in den Ring. Sein fünftes Studioalbum „Wakin on a Pretty Daze“, das 2013 erschienen ist, hatte glanzvoll eine Lücke geschlossen. Eine Lücke im Americana Rock Genre, welche die ganzen Folk-Bands der 0er-Jahre trotz massivem Banjo-Einsatz nie schliessen konnten. Nun erscheint seine sechste Platte und die vorveröffentlichten Singles „Pretty Pimpin“ und „Life Like This“ haben bereits angedeutet, dass er es noch immer mit jedem aufnehmen kann. Er hängt zwar meistens gehörig in den Seilen, aber das ist Taktik. Selten kam der Ausruf „yeah, yeah“ uneuphorischer und gleichzeitig relaxter daher als auf dem Titeltrack des letzten Albums. Daran hat sich seit 2013 nichts geändert. Die neue Platte startet mit einer ausgewachsenen Identitätskrise. Aber nicht so schlimm, denn der Typ im Spiegel, den er nicht wiedererkennt, sieht immerhin gut aus – pretty pimpin. Die Stimme schwankt passend dazu von Stück zu Stück zwischen verletzlich und entspannt, von Line zu Line zwischen zittrig und cool, so dass man sich nie ganz sicher sein kann, welche Stimmung in einem Song eigentlich tonangebend ist. Nicht leicht einzuschätzen – weder Kurt Vile noch die Platte. Insgesamt wirkt das Album aber persönlicher und ruhiger als sein Vorgänger. Instrumental wird es von Vile’s Fingerpicking auf der Gitarre und bei „I’m an Outlaw“ sogar besagtem Banjo getragen. Hinzu kommen die typischen psychedelisch-repetitiven Outros, während auf „Life Like This“ und „Lost my Head There“ neu auch Klaviermelodien im Zentrum stehen. Entstanden ist der perfekter Soundtrack für die lange Fahrt zwischen seiner Herkunft an der Ostküste und den Aufnahmestudios in LA und Joshua Tree.
Jonwayne ist ein anderes Kaliber. Von Verletzlichkeit oder Identitätskrisen kann hier keine Rede sein. „These people don’t see genius, I’m ahead of everyone“ ist die auf dem Album vorherrschende Selbsteinschätzung des Produzenten und Rappers in Personalunion. So überrissen ist das nicht einmal. Es sind zwar nur fünf Tracks, aber jeder einzelne davon ein Volltreffer. Der Knock-Out-Punch folgt mit „Green Light“, auf welchem sich Anderson Paak erneut als Featuring für Hip Hop-Tracks auszeichnet. Umso überraschender ist die Rücktrittserklärung im Titel, über welche im Internet heftig spekuliert wird. Sollte es wirklich das letzte Werk vor seiner Pension sein, dann verabschiedet sich Jonwayne mit einem Knall. Man könnte an dieser Stelle problemlos über seinen Flow und die dafür massgeschneiderten Beats referieren, aber es sind nur fünf Songs. Wer nicht eine der besten Alternative Hip Hop-Scheiben des Jahres verpassen will, soll es sich einfach anhören!
Es ist die Neuauflage von Rocky VI: Auf Kurt Vile lasten alle Erwartungen. Jonwayne wirft vor der Pension nochmals alles in die Waagschale und legt gleich vor. Seine EP ist schon eine Weile draussen und Zurückhaltung nicht seine Stärke. Die Songs sind musikalisch sicher nicht so ausgefeilt wie die seines Kontrahenten, dafür reisst ihre Kraft von Beginn an mit. Als Frührentner muss er die schnelle Entscheidung suchen. Kurt Vile hat Zeit. Seine Deckung gibt er nur selten auf und die Fähigkeiten, die ihn zum Titelverteidiger gemacht haben, hat er nicht verloren. Beide haben eine unverkennbare Stimme, einen einzigartigen Stil. Beide hätten den Sieg verdient. Die Entscheidung nach Punkten fällt zum Schluss knapp zu Gunsten des Underdogs aus. „b’lieve i’m goin down“ ist ein fantastisches Album, aber Jonwayne ist in der Form seines Lebens.
STUDIO GDS - Die einzigartige Zürcher Radiosendungs- und Partyreihe geht in die zweite Runde. Jeden Donnerstag wird wieder zu fein selektierten Konzerten und DJ-Sets in den Freitag hineingetanzt und cocktailschlürfend Neues entdeckt. Auf der Tanzfläche im Kauz und on air auf GDS.FM.
Von Kaiser Scheiss.
