Studio GDS präsentiert Perfume Genius - No Shape

Primary tabs

Lead

Es hätte auch ganz anders kommen können. Als Mike Hadreas als Perfume Genius 2014 ins Zürcher Exil kam, trat im Bogen F am gleichen Abend irgendeine Folk-Rock Band auf – und damals hörte man sowas noch. Hätte also sein können, dass man sich für die Folk-Rocker entschieden hätte. Man hätte ein paar Bier bestellt, ein bisschen mitgesummt und darauf gewettet, welcher der Typen irgendwann Mundharmonika spielt. Zum Glück haben wir uns anders entschieden.

Keine Ahnung, wer diese andere Band war; längst vergessen. Ganz im Gegensatz zum Auftritt von Perfume Genius. Kurz vor dem Konzert war sein drittes Studioalbum „Too Bright“ erschienen, und zu Beginn wusste man nicht so recht, was man damit anfangen soll. Statt den melancholisch minimalistischen Pianoballaden und Hadreas zerbrechlicher Stimme, die man von den beiden ersten Alben kannte, fanden sich auf „Too Bright“ plötzlich verzerrte Gitarren, horrorfilmartige Sequenzen und viel Geschrei. Selbst das eingängige „Fool“ driftet eine Minute lang in sphärisches Seufzen und Schreien ab. Irgendwie verstand man nicht ganz, was da los war. Bis zu dem Augenblick, als Perfume Genius die Bühne im Exil betrat – auf High Heels, mit hautengem weiss-glänzenden Anzug, roten Lippen und verdammt viel Gel in den Haaren. So tigerte er über die Bühne, starrte zu „My Body“ und „Grid“ mit beklemmender Intensität ins Publikum, warf sich zu „Queen“ in Pose, setzte sich zum Schluss für die langsamen Stücke zu seinem Freund ans Piano. In diesen Momenten machte alles Sinn, denn alles war echt: Die Schreie, die Wut, die Zerbrechlichkeit. Nicht dass im Indie Pop-Genre Realness allzu entscheidend wäre, aber die Kompromisslosigkeit, mit der sich dieser keiner Konvention entsprechende Mensch präsentierte, war überwältigend. Zum Bier holen blieb keine Zeit, mitsummen war keine Option.

Mit „No Shape“ veröffentlichte Hadreas anfangs Mai sein viertes Studioalbum und dieses beginnt, wie jedes Perfume Genius-Album, mit einer Klaviermelodie. Doch wie schon „Too Bright“ bringt auch „No Shape“ etwas Neues – etwas Unerwartetes, und zwar gleich zu Beginn: „Otherside“ wie auch die darauf folgende Single „Slip Away“ fühlen sich an, als würde man ganz sachte in den Schlaf gesungen, nur um kurz vor dem Einschlafen eine Tischbombe voller Glitzerkonfetti direkt ins Gesicht gefeuert zu bekommen. Als würden tausend kleine fette Barock-Engel plötzlich gleichzeitig in ihre Posaunen blasen. Statt auf die bekannten düsteren und melancholischen Passagen, setzt „No Shape“ zu Beginn auf Aufbruchsstimmung, und das mit verdammt viel Pathos und Glamour. Die Grundstimmung auf der Platte bleibt auch danach positiv. Wohlgemerkt: Positiv für Perfume Genius-Verhältnisse. Wenn man bedenkt, dass frühere Songs davon handelten, wie ein Lehrer ihn missbrauchte und später Selbstmord beging, oder wie seine Mutter von ihrem Vater misshandelt wurde, liegt die Messlatte dafür ziemlich tief. Erst vor diesem Hintergrund wird klar, dass das von „Erotic asphyxiation“ handelnde und musikalisch an Portishead erinnernde „Die 4 You“ tatsächlich ein Liebeslied ist. Nie wurde die ansonsten ausgelutschte Floskel „to die for you“ radikaler und überzeugender vorgetragen, nie hat jemand in einem Videoclip einen schwitzenden Klumpen Haut liebevoller besungen. Auch der traurig anmutende Abschluss-Song „Alan“, der nach seinem langjährigen Freund benannt ist, spielt in dieser Kategorie: „You need me / I’m here / how weird“ singt Hadreas. Eine glückliche Beziehung, Normalität – das sind neue Konzepte für Perfume Genius; so ganz ohne Vorbehalt kann er sie noch geniessen.

Mike Hadreas scheint es 2017 also gut zu gehen. Dass man dafür mehr Kitsch in Kauf nehmen muss als in einer katholischen Kirche, ist nur konsequent. Ist es zu viel Kitsch? Auf jeden Fall. Aber sicher ist, dass man ihm jedes bisschen davon glauben wird, sobald man ihn damit auftreten sieht. 2017 ist leider nur ein Konzert am Openair Zürich geplant – im Notfall ist er die 95 Franken Tageseintritt wert.

GDS.FM präsentiert täglich online und an Live-Shows in Zürich, was die lokale Musik- und Kulturlandschaft bewegt und in Zukunft noch bewegen wird. Mit abwechslungsreichen Playlists, Gästen, DJ-Sets und Konzerten. 24 Stunden am Tag. play.gds.fm

Immer von Mittwoch bis Samstag ab 18 Uhr bis spät findest du uns auch im Sender, der Bar von GDS.FM, an der Kurzgasse 4 in Zürich - inklusive Prachtsgärtli. Komm vorbei! sender.club

by Kaiser Scheiss

Image
Image
Perfume Genius, No Shape, Studio GDS präsentiert
Date
Content