Die Rote Fabrik war voll. Überraschend voll. Und überraschend jung. Auf der anderen Seite der Strasse müssen sich die Beschwerdebriefe über den argen Vergnügungslärm schon gestapelt haben. Dabei war das, was dort an diesem Abend geboten wurde, Kultur der ganz gehobenen Sorte: Jazz. Aber halt! Warum ist in diesem Fall die Halle voll mit jungen Leuten, fragte Sven, wissen die überhaupt, dass hier Jazz kommt? Ja, stimmt schon, aber Thundercat ist ja nicht einfach Jazz. Das ist der Jazz, den Flying Lotus auflegt und der mit Kendrick Lamar abhängt. Das sind nicht die verstaubten alten Platten, die beim Grossvater in der Wohnwand stehen, das sind neue glänzende Platten, die man sich in die Vintage-Holzkisten aus dem Brocki stellen kann. Überleg doch mal, Sven! Thundercat ist Jazz mit Swag!
Und dann begann das Konzert, und es war Jazz, und Sven hatte Recht. Zugabe? Ja klar, aber können wir uns irgendwo hinsetzen?
Über ein Jahr ist seitdem vergangen und nun kommt Stephen Bruner aka Thundercat aus L.A. wieder in die Schweiz. Am 2. April spielt er im Moods. Jazzclub statt Fabrikhalle – perfekte Bedingungen. Mit dabei sein drittes Studioalbum „Drunk“, das Ende Februar erschienen ist.
Jazz – das kann man studieren, das verpflichtet. Heisst, man müsste die Platte jetzt einordnen, musikhistorisch und so. Müsste die Tragweite dieses Epochenwerks eruieren – und das ist keineswegs sarkastisch gemeint. Doch dann beginnt Track Fünf „A Fan’s Mail (Tron Song Suite II)“ und Thundercat miaut zweieinhalb Minuten lang ins Mikrophon und sinniert darüber, wie schön es wäre, eine Katze zu sein, und ich denk mir, scheiss drauf! Wenn Jazz jetzt so cool ist, dass er dem besten katzengeräuschbasierten Hip Hop-Album aller Zeiten – „Meow the Jewels“ von Run the Jewels – ernsthafte Konkurrenz machen kann, dann kann man den ganzen theoretischen Kram auch mal weglassen: All die Genres und Einflüsse, all die Nuancen zwischen Funk und Elektro, Retro und Avantgarde, die man besprechen sollte. Nein, Thundercat ist Jazz, und Jazz miaut, schnarcht und schaut heute Dragon Ball Z – auf 23 Songs. Klingt verwirrend, aber Thundercat gibt Starthilfe: Die meisten Titel sind nicht viel länger als zwei Minuten und die stets mitschwebende Komponente „Jazz-Genie“ bleibt dank einer Mischung aus Witz und Wahn auch für Normalsterbliche auf einem fassbaren Niveau.
Über 20 Tracks zwischen Wahnsinn und Genie, wo soll man da anfangen? Mit den Hits: „Them Changes“ wäre bestimmt die Entdeckung des Albums, wäre der Song nicht schon seit der EP von 2015 bekannt. Neu kommen „Jethro“ und – ein wenig experimenteller – „Friend Zone“ hinzu. Ruhiger wird’s auf „Lava Lamp“ und „Drink Dat“ mit Wiz Khalifa, irgendwo zwischen Party und Kater, einmal am Boden zerstört, einmal high as fuck. Ähnlich entspannt geht es mit der Soft-Rock-Ballade „Show You The Way“ weiter. Unter eingespieltem Applaus und mit sanfter Stimme stellt Thundercat zuerst sich selbst, dann Kenny Loggins und Michael McDonald für ihren Part vor – zwei Featurings, die bestimmt nicht viele auf dem Album erwartet hätten: „Tell `em how you feel Kenny“ – grossartig. Der nächste Song „Walk on By“ beginnt mit einem Beat, der wie eine der fünf Grundeinstellungen auf dem E-Piano eines Alleinunterhalters klingt, der im Begriff ist, „Sexual Healing“ für immer zu zerstören. Und genau über diesen Beat rappt kein Geringerer als Kendrick Lamar. Noch bevor man das verarbeitet hat, folgt „Tokyo“; eine getriebene Ode auf die Nächte der japanischen Hauptstadt zur Melodie eines Nintendo-Spiels aus den 90ern.
Kurze Songs, Lyrics, die zwischen schräg und depressiv schwanken, dazwischen virtuose Bass-Solos. Die Sinne werden überflutet und bald ist nicht mehr klar, ob Thundercat oder man selbst betrunken ist. Direkt den Einstieg zu finden, fällt bestimmt nicht leicht. Überrascht aber keinen, schon gar nicht Sven – ist schliesslich Jazz. Aber ebenso wenig sollte es überraschen, wenn das Moods am 2. April aus allen Nähten platzt, wenn Thundercat wieder nach Zürich kommt und mit ihm Katzenjammer, Spielkonsolen und eine Menge Alkohol; kurz Swag-Jazz.
von Kaiser Scheiss.
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