“The sea of neon rippling waves under a heavy rain that batters the window of the dark hotel room in the middle of the city. There is no point to any of this except beauty. A return of dreams, Hong Kong.”
So lautet die Beschreibung des Albums HK von Hong Kong Express, das vor kurzem neuerdings auch auf Platte veröffentlicht wurde. Hong Kong Express oder HKE ist der Begründer des Labels Dream Catalogue, dem wohl wichtigsten Vaporwave Label und beschreibt auf treffende Weise die a e s t h e t i c, die das Genre ausmacht. Falls ihr euch jetzt fragt “Vaporwas?”, “a e s wie?”, geht es euch ähnlich wie mir, bevor ich den Kaninchenbau hinunter gefallen bin. Als mir nämlich unser aller Lieblingsvollbartträger und GDS.FM-Moderator davon erzählt hat, habe ich es zuerst als kurzlebiges musikalisches Internetphänomen wie Witch House oder Seapunk abgetan.
Was ich aber dann fand hat mich umgehauen…
...Ok, das war jetzt ein blöder Witz. Aber umgehauen hat es mich wirklich; denn wie Clickbait scheint sich Vaporwave und die dazugehörende a e s t h e t i c im Internet kontinuierlich und unaufhaltsam auszubreiten. Auch über das Web hinaus beeinflusst es nicht nur andere Musikstile wie Cloud Rap à la Yung Lean, sondern inspiriert gerade mit der a e s t h e t i c anscheinend ganz viele Grafiker. Der Vergleich mit Clickbait ist aber eigentlich unpassend, denn Vaporwave sieht sich gerade als Kritik, zu den kapitalistischen Geldmaschinerien der heutigen Zeit. Und genau diese versteckte Ernsthaftigkeit ist es, die Vaporwave von ähnlichen Internetphänomenen wie Seapunk abheben lässt.
Der Name kommt vom Begriff Vaporware, einer Bezeichnung für Produkte, typischerweise Computersoftware, die zwar angekündigt, aber erst sehr mit viel Verzögerung oder gar nie ganz fertiggestellt wurden. Passend zum Namen bedient sich Vaporwave bei der Ästhetik von frühen Computerspielen und alten Werbungen, mischt diese mit einer Prise Surrealismus, fügt asiatische Schriftzeichen, Markenlogos oder gerne auch antike Bildhauerei hinzu und kreiert damit die a e s t h e t i c. Diese a e s t h e t i c begleitet Vaporwave seit den drei stilprägenden Alben: Chuck Person's Eccojams Vol. 1, hinter dem sich Oneohtrix Point Never verbarg, Floral Shoppe von Macintosh Plus aka Vektroid und James Ferraros Far Side Virtual.
Auch die Musik des Genres klingt ein bisschen wie surreale Versionen von unfertigen und vergessen gegangenen Melodien für alte Computerspiele oder verlassene Warenhäuser. Alte Smooth Jazz Stücke werden in Loops gestückelt und mit viel Reverb und Delay versehen, Liftmusik wird aus dem Hintergrund geholt und zu psychedelischen Varianten von Soundtracks zu Computerspielen wie Die Sims geformt. Diese seltsam vertrauten und doch fremden Klänge, die gleichzeitig beruhigend als auch irgendwie unheimlich wirken, scheinen den Leuten zu gefallen und sie zu inspirieren. Und so haben eine Vielzahl von anonymen Produzenten unter seltsamen Pseudonymen, wie T e l e p a t h テレパシー能力者 oder Saint Pepsi im Netz unzählige Vaporwave Alben veröffentlicht. Mittlerweile hat sich Vaporwave sogar soweit entwickelt, dass sich Subgenres, wie zum Beispiel Future Funk und Mallsoft gebildet haben.
Es wäre nun sicher etwas verfrüht zu sagen, dass Vaporwave in die Annalen der Musikgeschichte eingehen wird. Doch mit seiner abstrus wirkenden Kapitalismus- und Konsumkritik passt das Genre perfekt in unsere spätkapitalistische oder, wie wir sie ja seit neustem nennen, postfaktische Zeit. Und als ich zum ersten Mal mit Vaporwave in Kontakt kam, hatte ich das komische Gefühl etwas Neuartiges und auf irgendeine Art Wichtiges entdeckt zu haben. Das letzte Mal, dass ich ein ähnliches Gefühl hatte, war im Jahr 2001 beim Hören von Is This It von The Strokes - just saying...
von Lukas Marty
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